Die Ehe – ein Auslaufmodell ?

Die Art und Weise, wie wir Menschen zusammenleben und wie wir dabei miteinander umgehen prägt unsere Wahrnehmung, unser Denken und unser Handeln. Das Aufwachsen im Mutter-Vater-Kind-System scheint den meisten von uns in die Wiege gelegt worden zu sein. Es ist – zumindest heutzutage – in fast allen Ländern dieser Erde gesellschaftliche Norm, dabei birgt gerade das Famlienmodell der „Ehe“ zahlreiche Klippen und Untiefen, die das Segelboot der Ehe leicht zum auflaufen, bzw. zum Kentern bringen lassen.

Mein Name ist Robert Anatol Stein, 40 Jahre, 2 Töchter, geschieden. Meine Kindheit war geprägt durch die schwere psychische Erkrankung meiner Mutter und meinen alkoholkranken Vater. Die Ehe zerbrach und ich wuchs fortan mutterseelenallein bei meinem Vater auf. Ich entwickelte im Verlaufe meiner Jugend selbstaggressive und selbstverletzende Verhaltensweisen und wäre damals beinahe an exzessivem Alkoholmissbrauch zu Grunde gegangen.

Als Systemischer Coach & Trainer führe ich heute Supervisionen im KiTa-Bereich durch. In den letzten Jahren habe ich zudem zahlreiche Fortbildungen für Lehrerinnen und Erzieherinnen zum Umgang mit verhaltensauffälligen und aggressiven Kindern veranstaltet. Die Hilflosigkeit mit diesem Thema und der Bedarf nach externer Unterstützung sind riesengroß. Meiner Erfahrung nach wurden verhaltensauffällige bzw. aggressive  Kinder in ihrer Vorgeschichte entweder emotional stark vernachlässigt, sind Opfer autoritärer Erziehungsstile bzw. familiärer Gewalt oder sind Symptom-Träger schwelender Konflikte der Eltern bzw. leiden unter deren Trennung. Die Ursachen liegen somit in den meisten Fällen in der jeweils vorherrschenden Familiensituation.

Heutzutage wird nahezu die Hälfte aller Ehen wieder geschieden und immer wieder entstehen so Trennungstraumata für die daraus hervorgegangenen Kinder. Noch schlimmer hingegen sind Ehen, die nach außen hin weitergeführt werden, obwohl sie nach innen schon längst gescheitert sind. Solche „Ehen“ sind Nährboden für emotionale Kälte, psychische und körperliche Gewalt sowie dauerhafte Alkoholabhängigkeit. Ein gefährliches Klima, das die Schwächsten wieder einmal am härtesten trifft – die Kinder! Das Modell der patriarchalen Kleinfamilie, besser bekannt unter dem Namen „Ehe“ , ist nach meiner Auffassung ein kinderfeindliches Familienmodell, das viel zu häufig schwere psychische Schäden an den Kindern hinterlässt. Diese Schäden, die man der modernen Gesellschaft vielerorts ansehen kann, werden bisher leider selten mit dem vorherrschenden Familienmodell in einen ursächlichen Zusammenhang  gebracht: Beziehungsunfähigkeit, Egoismus, Vereinsamung, Materialismus, Gier und Gewalt sind nur einige der merklichen Erscheinungen unserer Zivilisation, die sich nur auf dieses eine schwache und zerbrechliche Familienmodell stützt. Selbst wenn die patriarchale Kleinfamilie einmal nicht scheitert, so löst sie sich spätestens nach einer Generation regulär wieder auf, da jedes daraus hervorgegangene Kind wieder eine eigene Familie gründen muss, wenn es nicht den Rest des Lebens allein verbringen will. Dieses patriarchale Dogma, welches das Erwachsenwerden ganz stark über die Loslösung vom Elternhaus definiert, führt zu einem Trauma, das ich das „Hänschen-Klein-Trauma“ genannt habe. Diese Loslösung kann als ein zweites schmerzvolles Durchschneiden der Nabelschnur angesehen werden, das für die Mutter und ihre Kinder jeweils einen schmerzvollen Abschied darstellt, und die alternden Eltern einsam hinterlässt – ein diskontinuierliches Familienmodell. In den jungen Ehen der Kinder hingegen sind nun wiederum gewaltige  Krisen und Konflikte zu lösen, die aus den unterschiedlichen Wertesystemen, Rollenverständnissen und Familienkulturen der jeweiligen Herkunftsfamilien beider Partner heraus entstehen und deren konstruktive Lösung mithin recht fraglich ist.  Darüber hinaus ist ein Familienmodell, das auf der sexuellen Liebesbeziehung zweier Menschen beruht und eine strikte, lebenslange Monogamie voraussetzt, immer wieder von der Versuchung zur sexuellen Untreue bedroht. Ein einziger Verstoß bedeutet oft genug den Untergang der ganzen Familie. Die patriarchale Kleinfamilie muss regelrecht an diesen hohen Ansprüchen scheitern.

Betrachten wir als Gegenbeispiel das matriarchalische  Familiensystem, den Matri-Clan. In diesem kontinuierlichem Familiensystem gibt es kein „Hänschen-Klein-Trauma“, denn alle Kinder und Kindeskinder einer Mutter bleiben ein Leben lang bei ihr. Hier hat das Erwachsenwerden etwas mit der Übernahme von Verantwortungen und Pflichten sowie dem Zugeständnis von Rechten zu tun und nicht mit einer schmerzvollen Trennung. Das Familiensystem ist kontinuierlich und stabil. Die Familie begründet sich nicht auf eine sexuelle, möglicherweise temporäre Liebesbeziehung, sondern nur auf die Mutterschaft und der damit verbundenen bedingungslosen Mutterliebe bzw. der Liebe zur Mutter. Sexualität besitzt im Gegensatz zur patriarchalen Kleinfamilie nicht die Funktion die Familie zu erhalten, sondern sie ist frei, individuell und absolut privat. Sie unterliegt mit Ausnahme des Inzestverbotes keinerlei gesellschaftlichen Dogmen. Frauen dürfen ab Einsetzen der sexuellen Reife nächtlichen Besuch empfangen: Beziehungen, deren Art und Dauer nicht von einem gesellschaftlichem Dogma, sondern allein von den Menschen und deren Bedürfnissen bestimmt wird. Der Matri-Clan ist eine soziale Fürsorgegemeinschaft von Müttern, Kindern und Kindeskindern, in der es keine mit dem Patriarchat vergleichbare Vaterrolle gibt. Die Brüder der Mutter übernehmen automatisch die Rolle „sozialer Väter“ bzw. die Rolle männlicher Vorbilder. In diesem sozialen Verbund, in dem alles gerecht geteilt wird, werden Kinder, Alte und Kranke kontinuierlich versorgt und betreut. Man wird darin geboren, wächst in dessen Schutz heran, lebt darin und scheidet eines Tages wieder aus dem Leben, ohne diesen Verbund jemals  verlassen zu haben. Ein Familienmodell, das der aktuellen Matriarchatsforschung zufolge auf eine jahrzehntausendlange friedvolle Vergangenheit zurückblickt und angesichts globaler Probleme (soziale Not, Überbevölkerung, Hunger) ein erfolgversprechendes Zukunftsmodell repräsentiert. Nur wo es Müttern und Kindern wirklich gut geht, geht es auch der ganzen Gesellschaft gut. Unsere Kinder sind unsere Zukunft.

Es sollte daher versucht werden für das Familienmodell des Matri-Clans eine gesetzliche Grundlage zu schaffen und diesen als alternative Familienform zur Ehe gesellschaftlich zu etablieren, so dass jeder volljährige Mensch wählen kann, in welcher Familienform sie/er leben möchte. Wenn etwas wirklich gut ist, wird es sich über kurz oder lang durchsetzen, so die Grundidee einer Online-Petition, die ich im Juli 2012 innerhalb des Online-Netzwerks „Avaaz“ gestartet habe:

https://secure.avaaz.org/de/petition/Gesetzliche_Einfuhrung_eines_alternativen_Familienmodells_zur_Ehe_wahlweise

Herzlichst,

Anatol Stein

(c) by Robert Anatol Stein, 2013

Über anatolstein

Robert Anatol Stein, Dipl.-Ing. (BA), Systemischer Coach, Systemischer Körperpsychotherapeut, http://www.dreistattdry.de, Mitglied bzw. Unterstützer von: MatriaVal e.V., Greenpeace, World Vision, Avaaz.org, Paladins.eu, MatriaSys.de, DreiStattDry.de
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6 Antworten zu Die Ehe – ein Auslaufmodell ?

  1. Manuela Schütz schreibt:

    Zwei Kritikpunkte:
    1. Was mir in diesem Artikel zu einseitig erscheint: die Familie wird nur definiert als verheiratetes Paar mit Kindern. Nicht beachtet wird hier, dass es eine steigende Anzahl an Familien gibt, bei denen das Paar nicht verheiratet ist, bei denen es aber die gleichen Konfliktpunkte und infolgedessen auch leidende Kinder geben kann (denn ob verheiratet oder nicht, man bleibt oftmals wegen der Kinder zusammen, und nicht wegen des offiziellen Bundes). Deshalb ist die Ehe an sich nichts verwerfliches und ihre Abschaffung wird infolgedessen meiner Meinung nach nicht wirklich großartig etwas verbessern bzw. verändern.
    2. Zum Punkt Matri-Clan: Was ist mit den biologischen Vätern? Dürfen diese kein „Recht“ auf ihr Kind bzw. auf Zeit mit diesem haben? Die Abhandlung zum Matri-Clan ist schon allein deshalb patriarchalisch, weil hier die Frauen zum einen die Beine breit machen sollen/“dürfen“ und sich dann auch noch allein – ok, hier werden noch die Brüder als „soziale Väter“ erwähnt – um den Nachwuchs kümmern sollen/“dürfen“. Entschuldigung für meine Direktheit, aber bei der Argumentation im Artikel hinkt meiner Meinung nach etwas ganz gewaltig.

    • anatolstein schreibt:

      Liebe Manuela, vielen Dank für Deine Meinungsäusserung hierzu!

      Zu 1.: An der Ehe ist nichts verwerfliches und auch nicht an der freiwilligen Lebensgemeinschaft zweier gegen- oder auch gleichgeschlechtlicher Menschen, die alleine Kinder aufziehen möchten. Solange es funktioniert und Menschen damit glücklich sind – ok! Mein Argument ist doch lediglich, dass diese Beziehungen allzu oft scheitern und dann die Kinder die Leidtragenden sind. Schon wenn die Erotik scheitert, scheitert die Familie und somit geschützte Raum für die Kinder. Mir geht es in erster Linie nicht um einen Ersatz der Ehe, sondern um eine gleichberechtigte Alternative dazu.
      Zu 2.:
      Niemand soll im Matriarchat „die Beine breit machen“. Praktische Besipiele zeigen, wie Menschen in Matriarchaten selbstbestimmt, glücklich und gewaltfrei leben und beiderlei Geschlechter dabei glücklich sind. Die biologische Vaterschaft wird meiner Meinung nach oft überbewertet. Jeder weiss, dass erst der Aufbau von menschlichen Beziehungen zu Kindern das „Elternsein“ zementiert. Bitte lies mal von Ricardo Coler „Das Paradies ist weiblich – Eine faszinierende Reise ins Matriarchat“. Ein sehr empfehlenswertes Taschenbuch!

      Herzliche Grüsse,
      Anatol

  2. @ Anatol: hab gerade Deine Seite entdeckt. Interessant, was ich bisher gelesen habe. Sobald es meine Zeit erlaubt, werde ich weiterlesen. Fein, daß es immer mehr Menschen – und vor allem auch Männer – gibt, welche erkennen, welch eine Bedeutsamkeit im Wissen um matriarchale Gesellschaftsstrukturen für unsere Wege in eine „Gesellschaft in Balance“ liegen…

    @ Manuela: Ich bin Referentin für Moderne Matriarchtsforschung der Internationalen Akademie HAGIA und möchte im Zusammenhang mit Deiner Sichtweise auf die Bücher von Heide Göttner-Abendroth verweisen, allen voran „Am Anfang die Mütter“ und „Der Weg zu einer egalitären Gesellschaft.Prinzipien und Praxis der Matriarchatspolitik“. Darin sind vielfältige weitere Informationen zu matriarchalen Gesellschaften an sich und das Besondere der sogenannten „Matri-Clans“ zu finden. Hinsichtlich des Matriarchats der Mosuo empfehle ich das Buch „Matriarchat in Südchina.Eine Forschungsreise zu den Mosuo.“ von Heide Göttner-Abendroth, denn das Buch von Ricardo Coler ist meiner Ansicht nach schon sehr aus dem „patriarchalen Journalistenblickwinkel“ geschrieben.

    Deine Sichtweise mit dem „Füße breit machen“ entspricht in keinster Weise den matriarchal-gesellschaftlichen Lebensweisen. Wie Anatol in seinem Kommentar schon erklärt hat, gibt der Matri-Clan den Frauen und Müttern die Möglichkeit, ihre Kinder im sozial und finanziell gesicherten Umfeld aufwachsen lassen zu können. Das Modell der „Mutterbrüder als soziale Väter“ ist der leiblichen Vaterschaft, so wie sie uns das Patriarchat seit einigen Jahrtausenden als „allgemein gültiges Modell“ mit viel Druck und Gewalt aufgezwungen hat, meilienweit überlegen. Mütter und Kinder leben im stabil bleibenden Clan und die Mutterbrüder und Onkeln erfüllen die Aufgabe der „sozialen Väter“ der Schwesternkinder. Frei davon kann die „Erotik frei von den Alltagspflichten gelebt werden“, so ein Zitat von Heide Göttner-Abendroth dazu.

    Für matriarchale Kulturen ist es unverständlich, wie wir westliche Menschen etwas so Bedeutsames wie die Zukunft unserer nächsten Generation von etwas so Instabilem wie „Sexualität und Liebe“ abhängig machen können….

    Weitere Informationen zur Modernen Matriarchatsforschung und Matriarchale Gesellschaften unter: http://www.hagia.de

    Kürzlich hat die „Radiofabrik Salzburg“ ein Interview mit mir zur Modernen Matriarchatsforschung gesendet. Für alle daran Interessierten hier der Link dazu: http://cba.fro.at/248717

    • Manuela schreibt:

      Danke jeweils für die Buchtipps. Da ich mich auch sehr dafür interessiere, werde ich mir die Bücher besorgen. Mein Kommentar klingt eventuell etwas radikal, war aber lediglich auf den Artikel bezogen, nicht jedoch auf die Idee des Matriarchats an sich.

  3. Stephanie Gogolin schreibt:

    Danke, lieber Robert Anatol Stein, für diesen fundierten Beitrag. Statt eines Kommentars hinterlasse ich einen Link zu einem Text in meinem Blog Alltag, in dem ich mich schon vor längerer Zeit zu der Petition äußerte.
    http://www.stephanieursula.blogspot.de/2013/04/matrifokal.html
    Beste Grüße Stephanie Gogolin

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