English version? -> click here
Patriarchale Männer nehmen Frauen und insbesondere Mütter in ihren Verhaltensweisen als fremdartig bzw. andersartig wahr. Ein großer Anteil unseres geschlechtsspezifischen Verhaltens ist den „patriarchalen Grundverletzungen“ bzw. der unterschiedlichen Sozialisierung geschuldet, die zur Abspaltung genau solcher Persönlichkeitsanteilen führt, die jeweils als gegengeschlechtlich gelten. Aber ganz sicher beeinflussen auch die Geschlechtshormone unser Verhalten (siehe Artikel zur Testosteronvergiftung). Je schwächer z.B. Männer in ein familiäres und soziales Umfeld eingebunden sind und je mehr Konkurrenzdruck und Wettbewerb sie dabei ausgesetzt werden, umso höher fällt ihr Testosteronwert aus. Umgekehrt betrachtet, führt ein höherer Testosteronwert wieder zu dominanterem und aggressiverem Verhalten, welches in sensiblen Sozialgefügen Konkurrenz und Konflikte heraufbeschwört. Systemisch zirkulär betrachtet wird hier eine Wirkung wieder zur Ursache und die Wirkung dabei wiederum verstärkt. Ursache und Wirkung sind darin irgendwann kaum mehr zu unterscheiden: Das bekannte Henne-Ei-Problem, ein Muster, das sich auch in der Gestaltung von Beziehungen immer wieder finden lässt.
Wenn ein Mann extrem wenig oder gar kein Testosteron mehr produziert, „verweiblicht“ er, so die gängige Lehrmeinung und auch Volksmeinung. Diese Sichtweise ist sehr seltsam, denn ein Mann beginnt weder Östrogen zu produzieren, noch beginnt er deswegen seine sexuelle Ausrichtung umzukehren, noch verschwinden seinen primären Geschlechtsmerkmale. Lediglich die Körperbehaarung/der Bartwuchs werden geringer und die Muskulatur und Zeugungsfähigkeit nehmen ab. Es tritt also vielmehr eine „Rückentwicklung“ bzw. „Verkindlichung“ ein, als ausgerechnet eine „Verweiblichung“. Aber woher dann dieser irrige Glaube?
In traditionell patriarchaler bzw. männlicher Sichtweise ist das „weiblich sein“ und das „kindlich sein“ nahezu dasselbe! Die geringe Körperbehaarung der Frau, insbesondere der fehlende Bartwuchs, die höhere Stimme, der kleinere Wuchs, sowie die geringer ausgeprägte Muskulatur haben diese irrtümliche Idee jahrhundertelang genährt ebenso wie der Machtgewinn, der den Männern daraus erwachsen ist. Die Frau wurde kurzerhand entmündigt und genau wie das Kind zum Besitz erklärt. Das Weibliche hatte in traditionellen Patriarchaten nie eine eigene, vom Kindlichen unterschiedene Stellung, was dem Männlichen eine geradezu omnipotente Position verschaffte. Unsere Sprache und ihre Verwendung drückt dies an unzähligen Stellen aus. Und die Sprache besitzt eine gewaltige Macht, denn sie formt Gedanken und Gedanken formen und formulieren wiederum die Sprache. Wieder ein Kreislauf, in dem systemisch zirkulär betrachtet Ursache und Wirkung ineinander verschwimmen. Im Deutschen drückt sich die Omnipotenz des Männlichen z.B. durch die Anrede „Herr Schulze“ und „Frau Schulze“ aus. Warum nicht vollkommen symmetrisch „Mann Schulze“? (siehe hierzu auch die Initiative Anrede Mann).
Die Abwertung des Weiblichen zum Kindlichen war nicht nur der größte Irrtum des patriarchalen Mannes, sondern auch der Kern einer Jahrtausende währenden patriarchalen Unterdrückungsideologie. Sie wurde dabei ganz maßgeblich durch biblische Glaubenssätze und Metaphern, in denen z.B. die Frau aus Adams Rippe hervorgegangen sein soll, unterstützt und weiter verstärkt. Es soll an dieser Stelle nicht versäumt werden zu erwähnen, dass die Abwertung an sich ebenfalls nur eine Folge patriarchaler Geisteshaltung ist. In matriarchalen Gesellschaften gibt es kein „wertendes Vergleichen“. Jedes Familienmitglied hat hier den gleichen „Wert“, egal ob Kind, Frau oder Mann, ganz gleich ob gesund oder behindert.
Das Weibliche besitzt ganz im Gegensatz zur patriarchalen Ideologie eine vollkommen eigene, spezifische, schöpferische und spirituelle Dimension. Evolutionsbiologisch muss man sogar konstatieren, dass das Männliche in der Entwicklungsgeschichte erst aus dem Weiblichen hervorgegangen ist, da das Prinzip der Sexualität eine neuere Erfindung unserer Mutter Erde ist, die eine schnellere und zielgerichtete Anpassung des Lebens an sich wandelnde Lebensbedingungen ermöglicht. Dankbar, respektvoll und zugleich voller Liebe und Verehrung sollten wir dem Weiblichen wieder dem ihm gebührenden Platz in unserer Welt und unserem Wertesystem zuteil werden lassen.
Herzlichst,
Anatol Stein
© All rights reserved by Robert Anatol Stein, 2013
Thanks for a great reead