Familiäre Diskontinuität

In der Psychologie, egal ob tiefenpsychologisch fundiert, analytisch oder systemisch, wird der Herkunftsfamilie bei der individuellen Persönlichkeitsentwicklung bzw. bei der Entwicklung psychischer Störungen und Krankheiten immer wieder die höchste Bedeutung beigemessen. Die familiären Bedingungen, unter denen wir heranwachsen, sind in hohem Maße prägend, insbesondere die ersten Jahre unseres Lebens. Zentrale Rolle spielen dabei im klassischen patriarchalen Familiensystem Mutter und Vater.

Der zeitliche Bestand einer patriarchalen Kleinfamilie entspricht maximal der einer Generation. Viele überrascht diese Aussage, denn sie glauben, ihre Tante aus Heidelberg oder Oma und Opa, die nur 20 Autominuten entfernt wohnen, gehörten doch wohl auch mit zur Familie? Doch das ist eine Frage der Definition. Nach matriarchaler Sichtweise ist eine Familie eine Lebens- und Fürsorgegemeinschaft, die in einem festen Verbund am gleichen Ort zusammenlebt und alles untereinander teilt, was sie hat. In unserer patriarchal geprägten Welt wird der Umstand der gemeinsamen genetischen Abstammung allein gern schon als „Familie“ bezeichnet.

Mir persönlich kommt es scheinheilig vor, dass die ins Heim abgeschobene Oma, die jedes zweite Wochenende für eine Stunde besucht wird, als „Familien-Mitglied“ bezeichnet wird. Dies geschieht, um den Schmerz besser zu ertragen, dass Oma in Wahrheit ‚übrig‘ ist und in Wahrheit zu keiner Familie mehr gehört. Gleiches gilt für den geschiedenen Vater, der alle 2 Wochen seine Kinder sehen darf. Er lebt allein, nennt aber die Kinder „seine Familie“, um den Schmerz damit besser ertragen zu können. Die Ehe als patriarchale Familienform hat bedauerlicherweise ein hohes Potential zu scheitern, siehe Artikel Die Ehe- Ein Auslaufmodell.  Zudem löst sich eine auf einer Eheschließung beruhende Familie regulär spätestens nach einer Generation wieder auf, da jedes daraus hervorgegangene Kind wieder eine eigene Familie gründet. Dieses patriarchale Dogma, welches das Erwachsenwerden ganz stark über die Loslösung vom Elternhaus definiert, führt zu einer diskontinuierlichen Familienform und verringert somit massiv den lebensunterstützenden und sozialen Wert einer Familie. Dies schürt unser „Ego-Bewusstsein“ und verringert im gesamten weiteren Verlaufe unseres Lebens von der Geburt bis zum Tode den Geimeinsinn und den sozialen Zusammenhalt.

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Abbildung 1: Die klassische patriarchale Familienform (Ehe)

Im Gegensatz dazu bleiben in matriarchalen Familienclans die Menschen von der Geburt bis zum Tod Bestandteil derselben Familie. Eine Auflösung dieser Familie gibt es nicht. Intime Beziehungen werden freizügig und innig gelebt aber nur über die Clangrenzen hinweg gepflegt. Infolgedessen beeinflussen sie das eigentliche Familienleben nur am Rande. Monogamie, Polygamie oder Promiskuität sind rein persönliche Entscheidungen und kein gesellschaftliches Dogma. Im Unterschied zur Ehe unterscheidet sich die Vaterrolle im Clan dadurch, dass der Mann als sozialer Vater der Kinder seiner Schwestern und Cousinen in Erscheinung tritt (der sogenannte „Mutterbruder“, auch „Oheim“). Insgesamt ist die Zuordnung Mutter-Kind und Oheim-Kind nicht so exclusiv wie in patriarchalen Gesellschaften, denn es besteht eine Gemeinschaftsverantwortung aller Erwachsenen zu allen Kindern des Clans. Ebenso wird die Versorgung und Pflege der Alten in Gemeinschaftsverantwortung übernommen.

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Abbildung 2: Die klassische matriarchale Familienform (Clan oder Matri-Clan)

Es ist an uns zu verstehen, inwieweit diese familiären Grunderfahrungen für unser Leben prägend sind. Das soziale „Menschsein“ wird im Schoße von Familien erlernt, dort und eigentlich nur dort, wo der geschützte Rahmen dafür existiert. Wenn wir lernen, dass notlos Abschied und Trennung ausgehalten werden müssen, machen wir uns dagegen hart und kalt und werden auch unsere eigenen Kinder später in fremde Hände geben. Schlimmstenfalls werden wir sie sogar in Internate stecken und unsere alternden Eltern werden wir für ihre letzten Lebensjahre würdelos in Pflegeheime abschieben. Ja, wir werden das sogar für normal und unumgänglich halten und dabei ruhig schlafen können, schliesslich haben wir es ja auch nicht besser gewusst… oder?

Herzlichst,

Euer Anatol

(c) all rights reserved by Robert Anatol Stein, 2013

Über anatolstein

Robert Anatol Stein, Dipl.-Ing. (BA), Systemischer Coach, Systemischer Körperpsychotherapeut, http://www.dreistattdry.de, Mitglied bzw. Unterstützer von: MatriaVal e.V., Greenpeace, World Vision, Avaaz.org, Paladins.eu, MatriaSys.de, DreiStattDry.de
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2 Antworten zu Familiäre Diskontinuität

  1. apoc schreibt:

    Angeblich sollen ja die 1950er Jahre (ja sogar die ganze Zeit davor) „patriarchalisch“ gewesen sein — das glaube ich aber nicht. Ich vermute, dass dies eine dumme Lüge ist.

    Denn: Meines Erachtens gibt es seit mehr als 10000 Jahren — bedingt durch die Sesshaftigkeit und den Ackerbau — nur ein Matriarchat (siehe Johann Jakob Bachofen, 19.Jh., Basler) — und wir Männer sind dabei die grossen Opfer der Frauen gewesen (im Gegensatz zur Steinzeit, wo es noch keine gegenseitige Versklavung gab).
    Denn: als Sklaven der Frauen mussten wir uns abrackern, Geld nach Hause bringen, Energien zur Verfügung stellen (durch die Erfindung von Atomkraftwerken etc.), in den Krieg ziehen (wobei die Frauen immer stolz sind auf die heimkehrenden Männer), etc.
    Und: die meisten Männer scheinen dieses ihr „Sklavenleben“ sogar noch genossen und damit geprahlt zu haben (falls sie überhaupt je gewusst haben, dass sie Sklaven bzw. Kanonenfutter sind…).

    Frauen können sich theoretisch auch ohne Männer fortpflanzen (wie z.B. fast alle Tiere) — darum sind Männer eigentlich fast „unnötig“.
    Bis auf eines: würden sich Frauen AUSSCHLIESSLICH durch Jungfernzeugung (Parthenogenese) fortpflanzen, käme es nach einigen Generationen zur genetischen Instabilität, weil die Vielfalt der Gene abnehmen würde.
    Darum ist für Frauen hin und wieder Sex mit Männern notwendig, weil sonst die weibliche Keimbahn aus dem Ruder läuft.
    Aber ansonsten sind Männer ziemlich unnötig — ausser eben im Rahmen der Sesshaftigkeit zum Pflügen, Waffen schmieden und zum Kriege machen, weil hier Männer eben „muskelmässig stärker“ zu sein scheinen („Rüstungswettlauf“ — die Waffen und Muskeln sind immer stärker geworden!). In alten Kulturen sitzen jedoch die Männer lieber herum und schwatzen den ganzen Tag lang auf der Bank vor dem Haus oder philosophieren den lieben langen Tag…

    P.S.:
    Weil es rein biologisch nur wenige Männer zur Stabilisierung der Keimbahn braucht, können es sich Frauen im Rahmen des Matriarchats sogar leisten, Jahrhundert für Jahrhundert Millionen von Männern einfach so auf dem Schlachtfeld zu „verheizen“ (und die Männer als Sklaven der Frauen spielen hier sogar sehr willig mit!).

    Kriege sind natürlich ein willkommenes Mittel, um NOCH MEHR Energien (Ackerboden, Erdöl, Erdgas) zu erobern, und damit noch mehr Fortpflanzung (weibliche Keimbahn!) zu ermöglichen.
    Und dabei sind die (männlichen) Waffen und Muskeln (Olympia, mit Doping…) immer stärker geworden — alles nur im Dienste von Frauen (bzw. der weiblichen Keimbahn)…

    • anatolstein schreibt:

      Ich habe sehr mit mir gerungen diesen Beitrag zu genehmigen: Im Sinne der freien Meinungsäußerung will ich es dennoch tun. Ich will ihn jedoch nicht weiter kommentieren – ich glaube er spricht für sich selber.
      Mir besten Grüssen,
      Anatol

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